Tatort Fanpage
Infos zu den Folgen, Ermittlern & Schauspielern uvm. der beliebtesten Kriminalreihe im TV

Tatort - Geburtstagskind - Delia Mayer (Liz Ritschard), Stefan Gubser (Reto Flücker) / © ORF/ARD/Daniel Winkler

Interview mit Drehbuchautor Sascha Arango
zur Tatort-Folge "Borowski und das Mädchen im Moor"

Eine fast volljährige Internatsschülerin lässt in der Kosmetikabteilung einiges mitgehen, kurz darauf wird
sie vom Kaufhaus-Detektiv erdrosselt – was war für Sie der Ansatzpunkt Ihres Drehbuchs?

Die Anregung zu diesem Drehbuch kam von Hauptdarsteller Axel Milberg und Regisseurin Claudia Garde, die sich eine Geschichte gewünscht haben, die in einem Mädchen-Internat spielt.

Und Sie hatten sofort den zündenden Einfall?

Nein, ich war sehr skeptisch, ob ich diesen Einfall haben würde. Ich habe mich dann mit Elan an die Arbeit gemacht – und das fast fertige Drehbuch schließlich weggeworfen.

Wie bitte?

Mein ursprüngliches Konzept hat einfach nicht funktioniert. Was mich rettete, war die Überlegung, die vorhandenen Figuren der Story beizubehalten und die Geschichte von einer anderen Seite her aufzuzäumen.

Bevor wir ins Detail gehen: Der Clou Ihres Drehbuchs liegt darin, dass der Täter schon zu Beginn verraten wird. Was ist denn das Spannende für den Zuschauer, wenn er den Täter schon kennt?

Ich schreibe meine Krimi-Drehbücher meistens nach diesem Prinzip. Dabei gehe ich von mir selbst aus. Als TV-Zuschauer interessiert mich weniger die Frage, wer die Tat begangen hat, als die Frage, was nach der Tat geschieht.

Ihre hochgelobte Lena-Odenthal-Folge "Der kalte Tod" hat ebenfalls einen schon zu Beginn bekannten
Täter. War es schwer, den NDR von Ihrem Konzept zu überzeugen?

Nein, überhaupt nicht. Entscheidend ist doch, dass der Krimi spannend wird. Mich hat jetzt weniger das Mysterium, das Rätselraten um den Täter interessiert als die Leidensgeschichte des Täters und des Verfalls seiner Familie.

Wie kamen Sie darauf? Haben Sie alte "Columbo"-Folgen gesehen und sich gedacht, dass diese Methode doch ganz clever ist?

Ich bin ein absoluter "Columbo"-Fan. "Columbo"-Folgen sind immer als Duell angelegt, und genau diese Art von Dramaturgie lege ich auch ich meinem Drehbuch zugrunde. Columbo ahnt ziemlich schnell, dass er es mit dem Täter zu tun hat. Der Zuschauer weiß es bereits. Am Ende des Films aber erfährt er, der scheinbar Allwissende, immer etwas, das er vorher noch nicht wusste.

Sind die Anforderungen an den Autor bei Krimis nach dem "Columbo"-Prinzip größer?

Nein, das hat etwas mit den Vorlieben des Autors zu tun. Die Anforderungen an ihn sind dann am größten, wenn es ihm am schwersten fällt. Der Lohn der Arbeit für mich ist immer der Schluss, das Finale, in dem ich Kommissar und Täter aufeinanderprallen lasse.

Ihr Krimi beginnt mit dem Tod der Internatsschülerin Belinda. Als Kaufhaus-Detektiv Raven sie beim Diebstahl erwischt, versucht sie, ihm sexuellen Missbrauch anzuhängen. Der verzweifelte Raven erdrosselt sie. Greifen Sie damit eine männliche Angst unserer Zeit auf? Die Angst, ihre Unschuld nicht beweisen zu können?

In der Tat haben Männer sehr schlechte Karten, wenn Frauen ihnen sexuellen Missbrauch anhängen wollen.
In den USA wurden beispielsweise Verurteilte nach jahrelanger Haftstrafe freigelassen, weil man jetzt mit Hilfe einer DNA-Analyse ihre Unschuld beweisen konnte. Kaufhaus-Detektiv Raven muss fürchten, seinen Job zu verlieren. Er sieht keinen anderen Ausweg als das Mädchen zu töten.

Lässt sich Ihr Täter am besten mit dem knappen Begriff "Loser" beschreiben? Ist Klaus Raven ein Verlierertyp, der mehr Niederlagen einstecken musste, als ein Mensch verkraften kann?

Er gehört zu den unauffälligen, eher einfach gestrickten Menschen. Durch eine Vielzahl von Umständen wird er so stark belastet, dass er dieser Belastung irgendwann nicht mehr standhält. Dieser Mann könnte auch zum Amokläufer werden. Statt von einem Verlierer möchte ich lieber vom Gesetz der Umstände sprechen. Und wenn sich dann der äußere Feind mit dem inneren Feind verbündet, ist der Weg in die Katastrophe vorgezeichnet.

Sie begnügen sich nicht mit finanzieller Bedrängnis – der Mann wird auch noch von seiner Ehefrau nach Strich und Faden betrogen – erscheint es da nahezu zwangsläufig, dass dieser Mann eines Tages überkocht und ausrastet?

Sie betrügt ihn weniger, sie verdient Geld im Ehebett – weil sie glaubt, dass dies für ihre Tochter das einzig Richtige ist. Maria Schrader spielt diese Rolle mit angemessenem zurückhaltendem Ernst – ohne gehässig, ohne dekuvrierend zu sein. Sie stellt auf sehr genaue Weise die Lage und den Weh dieser Frau dar, die nur das Beste für ihre Tochter will.

Wie stricken Sie die Geschichte jetzt weiter? Die Jury des Deutschen Fernsehpreises, für den Sie bereits nominiert waren, lobte Ihre "originellen Handlungsverläufe". Was treibt den neuen Borowski-Krimi jetzt vorwärts?

Entscheidend für den weiteren Verlauf ist ein einziger Moment: Kommissar Borowski steigt zu dem Mörder ins Auto, nachdem er im Moor einen Wolf angefahren hat, und lässt sich zum Internat mitnehmen – mit der Leiche hinten im Auto. Borowskis nachdenklicher Satz "Man tötet eine Kreatur und denkt sich nichts dabei" hat natürlich auch für Raven eine große Bedeutung. Beide treffen jetzt immer wieder zusammen.

Da wir den Täter kennen, kommt es jetzt auf die Verwicklungen und Verstrickungen an – vor allem bringen Sie den Täter und Borowski in Beziehung miteinander – können Sie diese Beziehung beschreiben?

Ihr Verhätnis ist geradezu freundschaftlich. Es entwickelt sich eine kumpelhafte Männerfreundschaft. Das kann bei Männern ja so erfrischend einfach sein.

Borowskis private Konflikte bleiben in diesem Fall außen vor. Was hat Sie an Borowski diesmal interessiert?

Das Privatleben der Kommissare finde ich generell nicht so interessant. Mich interessieren die Fälle. Zumal Borowski ein Typ ist, der sein Privatleben beruflich auslebt, und Milberg ein Schauspieler, der dies so kongenial umsetzen kann. Borowski besteht sozusagen aus Meinung, Intuition und innerer Stimme. Wenn Borowski ermittelt, steht auch der Privatmann vor uns.

Gibt es den Moment, in dem er dem Täter auf die Spur kommt? Oder ist dies ein allmählicher Prozess?

Als Borowski gegenüber Frieda Jung den Satz wiederholt, seine Arbeit erfordere ein hohes Maß an Demut und Interesse, erkennt er, dass er dem Täter sehr ähnlich ist, er ahnt, dass er ihm schon begegnet ist. Ich setze auf die Intuition des Kriminalisten.

In der Geschichte setzen Sie aber auch auf mystische, märchenhafte Elemente – im nebligen Moor begegnet Borowski ein Wolf. Haben Sie ein Faible fürs Märchenhafte?

Sagen wir es so: Ich bin ein Fan des Unerklärlichen im Erklärlichen. In die Fülle der alltäglichen Geschehnisse baue ich gern kleine unerklärliche Momente ein – einen Hauch von magischem Realismus, der einer Geschichte zusätzliche Würze gibt.

Dieser "Tatort" endet zudem mit einem ziemlich blutigen Showdown. Konnten Sie die Geschichte nicht unblutiger auflösen?

Für mich führt diese Geschichte unausweichlich zu einem solchen gewalttätigen Abschluss. Mir liegt viel an dieser vollkommenen Entladung der angestauten Aggressionen, auf die das Duell zwischen Borowski und dem Täter mit all ihren kontrollierten Boshaftigkeiten zuläuft. Das Innere der Figuren kehrt sich hier auf drastische Weise nach außen. Ich bin sehr froh, dass der NDR mein Konzept akzeptiert und unterstützt.

Gehen Sie gern an die Grenzen – und darüber hinaus?

Ich bin stolz, dass ich die Konventionen hier so klar umgehen darf, aber ich finde auch, dass ich im Rahmen eines "Tatorts" mehr Spielräume habe als im Rahmen eines herkömmlichen Fernsehfilms. In keinem anderen Genre haben wir Autoren so viel Freiheit wie beim Krimi-Flaggschiff "Tatort".

« Tatort-Folge "Borowski und das Mädchen im Moor"