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Tatort - Geburtstagskind - Delia Mayer (Liz Ritschard), Stefan Gubser (Reto Flücker) / © ORF/ARD/Daniel Winkler

Interview mit Regisseurin Claudia Garde
zur Tatort-Folge "Borowski und das Mädchen im Moor"

Ihr neuer Kieler "Tatort" heißt "Borowski und das Mädchen im Moor": Warum führen Sie uns diesmal in Moore und Sümpfe?

Diese Landschaften sind einerseits typisch für Norddeutschland, andererseits eignet sich das Moor hervorragend als Sinnbild für die menschliche Seele. Was im Moor versinkt, ist oft unwiederbringlich verloren. Gelegentlich wird Versenktes aber auch wieder an die Oberfläche geschwemmt.

Im Moorgebiet begegnet Borowski einem Wolf – greifen Sie die Bilderwelt der deutschen Märchen auf, um die Schauerstimmung zu verstärken?

Mit dem bösen Märchenwolf hat dieses Tier wenig zu tun. Die Begegnung mit ihm ist ungewöhnlich, aber nicht unmöglich. Zunächst will der Film auch nicht mehr erzählen. Aber natürlich ist auch Borowski dem Zauber erlegen, den ein solches Tier umgibt. Obgleich er sachlich vorgeht in seinen Ermittlungen, zieht es ihn an die Unfallstelle zurück. Weil er das Tier verletzt hat, aber auch weil es ein seltenes, ungewöhnliches Tier ist. Wenn man es so deuten möchte, zeigt der Wolf Borowski den Weg zur Wahrheit – vermutlich ist es aber nur ein Zufall, dass der Wolf da ist, wo Raven das Mädchen versenkt. Menschen lieben Zeichen und Symbole, sie versuchen unentwegt sie deuten. Vielleicht weil es ihnen eine gewisse Sicherheit gibt, sie fühlen sich weniger allein, wenn sie ein Zeichen entschlüsseln. Manchmal treffen eine Ahnung und ein Zeichen zusammen, und schon geschieht ein kleines "Wunder" ... Dieser Wolf ist so ein kleines Wunder, er kommt im richtigen Moment. Der Rest liegt im Auge des Betrachters.

Kein Wolf, von dem eine Gefahr ausgeht, also?

Nein, er ist nicht gefährlich, nicht physisch, so wie die meisten wildlebenden Wölfe als Einzeltiere generell nicht gefährlich sind. Gefährlich ist er eben nur auf einer Metaebene. Das zeigt ja auch das letzte Bild. Der Wolf humpelt geschwächt davon und die Kiste wird an die Oberfläche gespült. Es ist sogar fast ein bisschen so, als habe er ein Opfer gebracht oder im Auftrag einer Wahrheit gewirkt. Man kann wie gesagt vieles in die Geschichte hineinlegen. Ich glaube Sigmund Freud hätte seine wahre Freude an ihr gehabt.

Am Anfang dieser Produktion stand die Idee von einem Krimi, der in einem Mädchen-Internat spielt. Was macht den Reiz dieser Internats-Welt für Sie aus?

Ich selbst war als Mädchen auf einem Internat. Zudem verdichtet sich in einem Internat das Leben zu einem Mikrokosmos. Da man im Internat eng zusammenlebt, kann man sich kaum aus dem Weg gehen, werden Begegnungen automatisch intensiver. Als Internats-Schülerin wird man auf andere Art erwachsen als im normalen Alltag. Außerdem verbindet man Internate mit einem privilegierten Dasein.

Sie haben in einem richtigen Internat gedreht – wie hat man dort auf das "Tatort"-Team reagiert?

Unser Internat ist in der Wirklichkeit ein Internat für Mädchen und Jungen, wir haben im Film daraus ein reines Mädchen-Internat gemacht. Einige Schülerinnen haben als Komparsen mitgewirkt. Man hat uns dort freundlich aufgenommen. Ich hatte aber das Gefühl, dass die Anwesenheit eines Fernsehteams in diesen Kreisen keinen großen Erregungs-Faktor mehr besitzt.

Gleich in den ersten Minuten Ihres neuen "Tatorts" präsentieren Sie eine reizvolle Überraschung. Das Publikum erfährt schon zu Beginn, wer der Täter ist – warum eigentlich?

Zunächst möchte ich darauf hinweisen, dass die Idee vom Autor stammt. Ich finde diese Konzeption sehr herausfordernd, denke aber, dass sie eine sehr genaue Arbeitsweise erfordert. Die Spannung läuft über das psychologische Katz und Mausspiel der Protagonisten. Stück für Stück entblättert sich die Raven-Figur und ihr Schicksal vor Borowski, aber vor allem vor uns. Das Interesse daran zu wecken, die Neugier für die Hintergründe und die Methodik dieses Mannes zu halten, ist der Balanceakt den ein Krimi mit bekanntem Täter schaffen muss. Es geht nicht ums Wer oder Wie, sondern ums Warum. Warum begeht Kaufhaus- Detektiv Raven diesen Mord, warum reagiert er so massiv auf dieses Mädchen, dass er sie dabei tötet?

Beantworten Sie diese Frage im Film?

Nicht eindeutig. Der Zuschauer soll sich selbst fragen, ob es Notwehr ist, eine Überreaktion oder vielleicht nur ein tragischer Unfall, die Grenzen erscheinen mir in solchen Fällen fließend. Auf der anderen Seite möchte ich ihn neugierig darauf machen, wie das Spiel zwischen dem Täter und dem Kommissar funktioniert. Zwischen beiden scheint sich fast eine Freundschaft zu entwickeln. Wird es Borowski auf dieser freundschaftlichen Ebene eventuell schaffen, den Täter zu einem Geständnis zu bewegen? Borowski gerät unter Druck, weil er keine Beweise findet, die den Täter überführen – er ist auf Spekulationen angewiesen ...

... und auf eine clevere Taktik, um dem verdächtigen Kaufhaus-Detektiv auf den Zahn zu fühlen. So wechselt Axel Milberg als Borowski unvermittelt die Tonlage, um den Täter aus der Fassung zu bringen.

Es gehört zu Borowskis Mentalität, den Schalter plötzlich umzulegen und einen Verdächtigen mit etwas Überraschendem zu konfrontieren. Die Verbindungslinien zwischen Täter und Opfer werden enger, aber noch hat Borowski nichts in der Hand.

Worin liegt Borowskis Cleverness, sein Vorsprung gegenüber dem Täter und gegenüber seinen Kollegen?

Er sammelt Indizien, beobachtet sein Umfeld genauer und setzt daraus allmählich ein Puzzlebild zusammen.
Er folgt seinen Impulsen, versucht etwas und schaut, was dann passiert. Nicht jeder Impuls führt zu einem befriedigenden Resultat. Borowskis Chef Schladitz wie auch Frieda Jung gehen strategischer vor – und irren sich. Borowski folgt seiner Intuition und verlässt sich auf seine Erfahrung.

Sie zeigen Maria Schrader als Ehefrau des Täters in einer Szene als Prostituierte im eigenen Ehebett – geht es dieser Frau nur noch ums Geld?

Ihre Absicht, der Tochter ein besseres Leben zu finanzieren, ist die eine Ebene dieser Prostitution. Auf der anderen Ebene straft sie damit ihren Mann ab – er scheint zu wissen, was sie tut, aber es wird nicht darüber geredet. Irgendwann entdeckt er einen roten Stöckelschuh unter ihrem Bett, aber er stellt sie keineswegs zur Rede. Er weiß wohl, was dort tagsüber im Ehebett passiert. Aber er fühlt sich auch als Versager, was kann er ihr noch entgegensetzen. Er ist der Gehörnte, über den man sich nach seiner Denke besten Falls lustig macht.

Am Abschluss dieses Krimis steht ein ausgesprochen blutiges Finale. Ginge es nicht auch weniger rabiat?

Natürlich ginge es das. Allerdings ist es schon ein Widerspruch in sich, Filme über Mord und Verbrechen machen und auch sehen zu wollen und die Brutalität rauszuhalten. Viele Krimis kommen ohne blutige Szenen aus und es ging uns nicht darum die Splatterfantasien einiger Zuschauer zu beflügeln. Andererseits war es mir hier ausgesprochen wichtig, diese tickende Zeitbombe in dem Mann auch explodieren zu lassen, um seinen enormen Druck deutlich zu machen.

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