Tatort Fanpage
Infos zu den Folgen, Ermittlern & Schauspielern uvm. der beliebtesten Kriminalreihe im TV

Tatort - Geburtstagskind - Delia Mayer (Liz Ritschard), Stefan Gubser (Reto Flücker) / © ORF/ARD/Daniel Winkler

Interview mit Schauspieler Andreas Schmidt
zur Tatort-Folge "Borowski und das Mädchen im Moor"

Ausnahmsweise dürfen wir verraten, dass Sie im neuen Kieler "Tatort" den Täter spielen. Ist dieser Klaus Raven im Grunde ein unauffälliger Normalbürger?

Das kommt darauf an, was man unter Normalbürger versteht. Hinter jedem Vorhang können sich die wildesten Abgründe verbergen. Manche dieser Abgründe dringen nie an die Oberfläche. In der Not jedoch oder bei extremem Druck reagieren einige Menschen auf furchtbare Art und Weise – so wie mein Täter hier.

Schon vor dem Mord erfahren die Zuschauer, dass Ihrem Kaufhausdetektiv Raven finanziell das Wasser bis zum Hals steht – warum werden die Hintergründe dieses Menschen so früh im Film ausgeleuchtet?

Es ging uns darum, dass die Zuschauer sehr schnell Sympathie für diesen Mann entwickeln und ihn nicht aus ihrem Herzen verstoßen, auch wenn er schon fünf Minuten später ein furchtbares Verbrechen begeht. Das geht nur, wenn sie verstehen, dass er nicht aus kaltblütiger Mordlust, sondern in erster Linie aus einer Notsituation heraus jemanden umbringt.

Als Klaus Raven kurz vor dem Mord am Telefon erfährt, dass die Bank ihm keinen neuen Kredit bewilligt, lassen Sie ihn wutentbrannt das Telefon an die Wand schleudern – warum so extrem?

Dieser Mann hat Angst davor, dass ihm sein ganzes Leben flöten geht – dass ihm alles, wofür er gekämpft hat und dafür weit über seine Grenzen hinausgegangen ist, den Abgrund hinunterrutscht.

Ist es denn überhaupt ein Mord?

Ich denke schon. Drehbuchautor Sascha Arango hat dazu den Philosophen Jean-Paul Sartre zitiert, der meinte, dass das Schlimmste ist, dass man eigentlich jede noch so grässliche Tat verstehen könne. Diese Meinung teile ich. Dennoch darf und muss man feststellen, dass die Verbrecher Grenzen überschreiten,
die anderen schaden, und dass die Gesellschaft dies nicht dulden kann. Es ist nicht nur Totschlag, wenn mein Kaufhaus-Detektiv das Mädchen aus dem Internat erwürgt. Ihn übermannt eine solche Welle an Aggression, dass er nicht mehr loslassen will. Als er anschließend die Tat vertuscht und verleugnet, spürt man, wie schuldig er sich auch selbst fühlt. Klaus Ravens Schuld fängt in seinem Leben vor der Tat an.

Halten Sie persönlich es für vorstellbar, dass ein eigentlich friedfertiger Mensch durch äußeren Druck zu einer Gewalttat getrieben werden kann?

Ich halte alles für denkbar. Sei es Hunger, sei es der Einfluss von Drogen, sei es der Wunsch, die eigenen Kinder zu schützen, Rache – es gibt so viele denkbare Gründe dafür, dass Menschen sich nicht mehr an die vereinbarten Konventionen halten. Ich kann mir schon vorstellen, dass fast jeder Mensch, wenn er nur oft genug an seinen empfindlichsten Seiten getroffen wird, innerlich bereit zu Gewalttaten ist – was ihn auf keinen Fall entschuldigt, das nicht. Dieser "Tatort" hat schließlich die Absicht, diese Vorgänge nachvollziehbar zu machen.

Zwischen Raven und Borowski entwickelt sich ein facettenreiches Katz-und-Maus-Spiel. Ist das Spannende daran auch die Tatsache, dass beide sich beinahe anfreunden?

Axel Milberg und ich waren uns sofort einig, dass eine gegenseitige Sympathie zwischen Täter und Jäger entstehen muss. Wenn es diese emotionale Verbindung zwischen den beiden Gegnern nicht gäbe, wäre der Fall doch langweilig. Die Stärke des Drehbuchs von Sascha Arango liegt für mich generell darin, dass es tiefe menschliche Abgründe wie auch große menschliche Nähe in einem gekonnten Genre-Stück verknüpft.

Wie stehen Sie denn zu dem blutigen Finale?

Die Geschehnisse eskalieren so stark, dass ich das Drehbuch beim ersten Lesen ein paar Mal aus der Hand legen musste – so sehr hat es mir die Socken ausgezogen.

Borowski kommt Ihnen als Täter mehr und mehr auf die Schliche, Sie wehren jeden Verdacht ab. Was prägt diese Beziehung zwischen Täter und Kommissar?

Axel Milberg als Borowski bringt meiner Figur geradezu väterliche Gefühle entgegen. Wenn Raven einen Vater gehabt hätte, der ihn bestärkt hätte, der ihm geholfen hätte, wäre es eventuell gar nicht zu diesem Verbrechen gekommen. Ich fand es schön, dass Borowski dem Raven die Anerkennung gibt, die er so dringlich braucht. Axel Milbergs Spiel macht dabei deutlich, dass Borowski ihn nicht manipuliert oder an der Nase herumführt, sondern sich sehr offen und mit Sympathie auf diesen Mann einlässt. Dieser Mann hat nie die zum Leben nötige Anerkennung bekommen, das habe ich beim Spielen dieser Rolle deutlich gespürt.

Wie haben Sie das Zusammenspiel mit Axel Milberg erlebt?

Milberg spielt seinen Kommissar nicht als distanzierten kühlen Kopf, sondern als Menschen, der seine Mitmenschen an sich heranlässt und versucht, sie zu verstehen. Milberg und ich mochten uns von der ersten Sekunde an. Das war sehr hilfreich für unsere Geschichte. Wir mussten nicht eine Nähe behaupten, sondern es gab sie wirklich.

Ihre Mitspielerin als Ehefrau ist Maria Schrader. Spielt sie Klaus Ravens Frau Iris als die eigentlich Schuldige?

Meiner Meinung nach verlangte diese Rolle nach einer Schauspielerin mit einem präzisen, intelligenten Kopf. Als ich hörte, dass Maria Schrader für diese Rolle im Gespräch war, habe ich vor Freude geschrieen. Neben der großen Präzision hat sie ihrer Figur noch einen Reichtum an Facetten mitgegeben. Sie ist keine perfide Lady Macbeth, sondern eine Frau, die daran verzweifelt, dass sich ihre eigenen Sehnsüchte nicht erfüllen.

Konnten Sie Ihre Vorstellungen Ihrer Rolle umsetzen? Oder waren die kreativen Vorgaben der Regie maßgeblich?

Die Zusammenarbeit mit Regisseurin Claudia Garde konzentrierte sich von Anfang an auf die Sache. Es ging nicht um Statusrangeleien, es war ein ausgeglichenes, fruchtbares Miteinander. So muss es sein. Alles andere wäre kindisch und der Arbeit hinderlich.

Sie selbst arbeiten ebenfalls als Regisseur, sie inszenieren zum Beispiel Komödien am Theater, etwa an der Komödie am Kurfürstendamm in Berlin. Haben Sie deshalb mehr Verständnis für die Wünsche der Regisseure?

Ich staune immer wieder, mit wie vielen Fragen und Entscheidungen sich etwa Claudia Garde als TV-Regis- seurin am Set gleichzeitig beschäftigt. Ich selbst genieße es als Schauspieler, wenn ich mich bei einem Regisseur oder einer Regisseurin gut aufgehoben fühlen und einen Teil der Verantwortung abgeben kann.
Danke, Claudia!

In einer ungewöhnlichen Rolle erregten Sie 2006 Aufsehen – als LKW-Fahrer und Womanizer Ronald im Kinofilm "Sommer vorm Balkon" von Andreas Dresen. Größer könnte der Kontrast der Rollen kaum sein, oder? Hier der Täter unter Druck, dort der selbstbewusste Macho?

Vor allem glaubt Ronald selbst, dass er ein toller Kerl ist! Was meine Rollen verbindet, ist wohl der Hang zum Eigenwilligen, zum Nicht-Alltäglichen. Regisseur Dresen hat schon etwas riskiert, als er einen Schlaks wie mich als LKW-Fahrer besetzt hat. Im Kinofilm "Pigs Will Fly", einem weiteren Meilenstein in meiner Laufbahn, habe ich einen schlagwütigen Polizisten gespielt – ich stehe eher für Figuren, die sich außerhalb der Konvention bewegen. Den normalen Familienvater bekomme ich bisher nicht angeboten – leider, muss ich sagen!

Sie haben als Sänger und Texter der Berliner Band "Lillies große Liebe" begonnen – wären Sie lieber Rockstar geworden?

Musik war wichtig und prägend für ein Leben, aber mittlerweile ist es mir lieber, vor der Kamera zu stehen, als durchs Land zu tingeln und laute Musik zu machen.

« Tatort-Folge "Borowski und das Mädchen im Moor"