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Tatort - Geburtstagskind - Delia Mayer (Liz Ritschard), Stefan Gubser (Reto Flücker) / © ORF/ARD/Daniel Winkler

Interview mit Sabine Holtgreve
zur Tatort-Folge "Borowski und der freie Fall"

Warum haben Sie sich entschlossen, einen realen Fall als Hintergrund für einen Borowski-"Tatort" zu nehmen? Das ist doch höchst unüblich.

Viele unserer "Tatort"-Fälle sind von der Wirklichkeit inspiriert. Die Idee, den Fall Barschel aufzunehmen, entstand an meinem ersten Arbeitstag beim NDR. Christian Granderath und ich haben überlegt, was es für Ereignisse in Schleswig-Holstein gibt, die wir im Kieler "Tatort" beleuchten können und er hatte die Idee, einen "Tatort" vor dem Hintergrund des Falls Barschel zu erzählen. Es ist ja ein Todesfall, der unter ungeklärten Umständen passiert ist, um den sich viele Verschwörungstheorien ranken. Der Fall Barschel ist jedoch so speziell, dass er sich nicht einfach fiktionalisieren lässt. Viele Details, wie z. B. der Fundort des Toten in der Badewanne in Genf, oder das "falsche" Ehrenwort, haben sich als Bilder in unser kollektives Gedächtnis eingebrannt. Auch nach 25 Jahren sind die Erinnerungen daran noch abrufbar. Wenn wir jetzt Uwe Barschel in unserem "Tatort" "Otto Meyer" genannt hätten, dann wäre das albern. Es ist natürlich eine besondere Herausforderung, eine Geschichte zu erzählen, in der es um eine reale Person der Zeitgeschichte geht. Denn der Film muss ja gleichermaßen zu verstehen sein für die Zuschauer, die die Person kennen und die Zuschauer, die jünger sind. Eine besondere Herausforderung ist es natürlich auch glaubwürdig zu bleiben.

Andererseits konnten Sie auch nicht eine eigene Version des Falls Uwe Barschel erfinden.

Nein. Deshalb steht im Vordergrund ja auch nicht die Ermittlung des Falls Barschel, denn diesen Fall können und wollen wir nicht lösen, sondern es geht um einen toten Unternehmer, der eine besondere Beziehung hat zu einem Politiker – 25 Jahre später. Die Figur des Ministers von Treunau wird, wie ich finde, hervorragend gespielt von Thomas Heinze.

Was macht den Fall Barschel so interessant für einen "Tatort"? Sind es die Geheimnisse, die mit den Verschwörungstheorien einhergehen?

Das ist auf jeden Fall sehr spannend. Was mich in dem "Tatort" aber am meisten interessiert hat, war die
Frage: Wo fängt Macht an Menschen zu verändern? Wie korrumpiert Macht sie oder verändert ihre Wahrnehmung der Wirklichkeit? Ich bin ein großer Fan von Ron Howards Film "Frost/Nixon". Richard Nixon wird dort als trickreicher Politiker dargestellt, der irgendwann seiner eigenen Überheblichkeit zum Opfer fällt. Wir erzählen im Zentrum des "Tatort" die Geschichte dreier Menschen, die in ihrem Leben viel erreicht haben und jetzt an einen Punkt gelangt sind, an dem ihr Status droht verloren zu gehen. Die spannende Frage ist, wie gehen sie damit um?

"Borowski und der freie Fall" zeigt, wie rasch ein Politiker stürzen kann, wenn sich ein privates, harmloses Geheimnis mit polizeilichen Ermittlungen vermischt. Quasi en passant wird hier das komplexe Leben eines Amtsinhabers beleuchtet. Entstand dies erst in der Entwicklung der Figur oder war das von Anfang an gewollt?

Das entstand bei der Entwicklung. Die – wie ich finde – sehr originelle Grundidee für die Geschichte stammt von Fred Breinersdorfer. Eoin Moore hat das Drehbuch geschrieben und hat in seiner Inszenierung sehr stark daran gearbeitet, dass die Charaktere authentisch wirken und tiefe Konflikte durchleben. Wenn man von einem realen Fall ausgeht und ihn in ein Format wie den "Tatort" integriert, arbeitet man mit Spiegelungen. Es gibt den authentischen Kern und es gibt Figuren, die mit dem gleichen Thema zu tun haben, es aber aus anderer Sicht oder als Variante erleben. Unser Thema war "Aufstieg und Fall an der Kieler Förde". Bei der Suche nach Menschen, denen Status viel bedeutet, sind wir auf die Berufsfelder Politik, Medien und Wirtschaft gekommen
– und alle drei sind in dem "Tatort" vertreten.

Der Fall Barschel ist nicht wirklich aufgeklärt. Welche Punkte mussten Sie bei der Entwicklung des Drehbuchs beachten?

Der Fall Barschel liegt 25 Jahre zurück und ist in Büchern und Zeitschriften dokumentiert wie kein Zweiter. So findet sich die komplette Ermittlungsakte auf der Internetseite der Staatsanwaltschaft Lübeck, mit Kommentaren der Oberstaatsanwaltschaft. Als Landesrundfunkanstalt von Schleswig-Holstein, wo Uwe Barschel Ministerpräsident war, hat der NDR den Fall Barschel natürlich intensiv in seiner Berichterstattung begleitet. Es gibt eine sehr gute NDR Dokumentation von Patrik Baab, Andreas Kirsch und Stephan Lamby. Wir konnten uns also bei der Drehbuchentwicklung und bei der Herstellung des Films, stark auf unser eigenes Material stützen. Natürlich genießt auch eine Person der Zeitgeschichte, wie jede andere, Persönlichkeitsschutz. Das heißt, dass keine Behauptungen gemacht werden dürfen, die nicht belegt werden können, etwa indem man eine Person ohne Beweise mit einem Verbrechen in Verbindung bringt. Um das zu garantieren, gibt es gewisse juristische Voraussetzungen, die man erfüllen muss. Und nochmal; wir sind ja keine Journalisten die neue Fakten recherchiert haben, sondern, wir müssen uns bei aller dichterischen Freiheit an die Fakten halten, oder kenntlich machen, wenn es sich um Gerüchte oder freie Erfindung handelt.

Ende Juli kam die Nachricht, dass neueste Technologie es nun möglich gemacht hat DNA-Spuren eines oder mehrerer Unbekannter an der Kleidung von Uwe Barschel zu identifizieren. Was hat diese Nachricht in der Redaktion ausgelöst?

Als wir davon hörten, waren wir zuerst verblüfft, denn auch bei uns spielen unentdeckte DNA-Spuren eine Rolle. Unser Produzent Holger Ellermann hat sofort mit unserem Fachberater Winfred Tabarelli – dem ehemaligen Leiter der Ermittlungsgruppe Genf – gesprochen und ihn gefragt, ob jetzt eine Wende im Fall Barschel zu erwarten ist. Herr Tabarelli war aber wie immer gelassen und hat erklärt, dass die Wahrscheinlichkeit, dass diese Spuren jetzt noch jemanden zugeordnet werden, der sich dann als Mörder herausstellt, sehr gering ist.

In dieser Folge präsentiert sich Borowski als nüchterner Kriminalist, der sich im Ermittlungsteam Barschel erste Sporen verdient hat, er bezeichnet Tablet-Computer als Spielzeug, weigert sich über Verschwörungstheorien zu diskutieren und flucht zum ersten Mal – allerdings auf Französisch. Was für ein Typ ist Borowski?

Borowski ist ein instinktgetriebener Rationalist. Er hat eine starke Intuition, erlaubt sich aber nur zum Teil, dieser Intuition und seinen Gefühlen zu folgen. Borowski hat ein Geheimnis, wir werden wohl nie ganz genau wissen, wer er eigentlich ist. Ich persönlich denke, er ist deshalb so ein guter Ermittler, weil er die dunkle Seite des Verbrechens kennt. Er hat sich jedoch dafür entschieden, auf der Seite des Gesetzes zu arbeiten.

Wie groß ist der Einfluss von Axel Milberg auf den Kieler "Tatort"?

Das Format des Kieler "Tatort" wird sehr stark von der Persönlichkeit Axel Milbergs geprägt und wie er Borowski anlegt. Bei "Borowski und der freie Fall" finde ich es ganz wunderbar, wie Axel Milberg die Skepsis von Borowski darstellt. Also über eine lange Strecke Unglauben und Amüsement über das Engagement seiner Kollegin Sarah Brandt spielt und dann langsam selbst in den Bann dieser Verschwörung gezogen wird. Axel Milberg legt die Figur als Kriminalisten an, der bei aller Abgeklärtheit staunend durch die Welt geht und uns Zuschauer dabei an die Hand nimmt. Sibel Kekilli ist in ihrer Rolle als Sarah Brandt total emotional und felsenfest davon überzeugt, dass sie auf den Fall ihres Lebens gestoßen ist. Beide ergeben ein gutes Ermittlerpaar.

Als Gast-Star tritt Tagesthemen Moderator Tom Buhrow auf. War es leicht ihn für den Auftritt zu gewinnen?

Ja, wir haben ihm das Drehbuch geschickt, als er im Urlaub war. Und er hat sich dann am ersten Tag als er zurückkam, gemeldet und zugesagt. Die Szene in der Kantine ist übrigens nicht in der NDR-Kantine gedreht worden, sondern in der Kantine von Studio Hamburg – die optisch mehr hermacht. Und das Studio von Ulla Jahn ist das Studio von BECKMANN.

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