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Tatort - Geburtstagskind - Delia Mayer (Liz Ritschard), Stefan Gubser (Reto Flücker) / © ORF/ARD/Daniel Winkler

Interview mit dem Fachberater Dr. Stefan R. G. Stodieck
zur Tatort-Folge "Borowski und der stille Gast"
"Epilepsie ist leider immer noch eine stigmatisierte Erkrankung"

Dr. Stefan R. G. Stodieck, Ärztlicher Leiter Epilepsiezentrum Hamburg, beim Kieler "Tatort" Fachberater Epilepsie für die Rolle "Sarah Brandt"

Gibt es Polizisten mit Epilepsie?

Allein zu uns an die Klinik kommen pro Jahr etwa zehn 'Sarah Brandts' als Patienten. Meistens Jüngere im aktiven Polizeidienst, etwa in den SEKs, die auch Karriere machen wollen. Es gibt im übrigen auch Zahnärzte oder Herzchirurgen, die von Epilepsie betroffen sind und wo es um die weitere Berufstätigkeit geht. Das Wichtigste überhaupt ist, den Patienten die bestmögliche Behandlung zu geben, damit sie anfallsfrei werden und beruflich weiter machen können.

Strikte ärztliche Verbote und die Einführung von Meldepflichten würden nur dazu führen, dass Patienten fälschlicherweise behaupten, anfallsfrei zu sein. Dies zeigt, dass der Umgang mit Epilepsie nicht einfach ist. Wir wissen etwa, dass rund ein Drittel jener, die nicht mehr Auto fahren sollen, es trotzdem tun und viele auch Unfälle haben. Nur wenn ein Vertrauensverhältnis zum Arzt besteht und dieser über alle Umstände Bescheid weiß, kann der Patient so gut wie möglich eingestellt und das Risiko für alle Beteiligten gesenkt werden.

Neigen Arbeitgeber wegen des Haftungsrisikos und aus Bequemlichkeit dazu den Betroffenen an einen Schreibtisch zu verbannen?

Ja, genau! Viele Arbeitgeber und Vorgesetzte wollen nur Leute, die voll einsetzbar sind. Dabei macht das Risiko eines Anfalls nicht den kompletten Außendienst unmöglich. Im beruflichen Umfeld wird generell zu wenig darauf geschaut, was der Betroffene noch kann, wo genau Risiken bestehen, und wie man den Arbeitsplatz eventuell anpassen kann. Viele Entscheidungsträger, auch Polizeiärzte, verfahren leider nach Schema F und sagen: entweder voll einsatzfähig oder gar nicht. Mir geht es darum, in jedem Einzelfall genau zu überlegen, wie hoch das Risiko bei welchen Tätigkeiten ist. Das ist oft genug sehr gering. Auch wer keine Epilepsie hat, kann aus gesundheitlichen Gründen kurzfristig ausfallen. Bei einer Migräneattacke etwa oder Kreislaufproblemen. Ein gewisses Risiko ist übrigens auch bei jedem Gesunden immer vorhanden.

Wie sieht das nun im Fall von Sarah Brandt aus? Wie sollte sie sich verhalten?

Zunächst natürlich zum richtigen Arzt gehen und versuchen, die Behandlung zu verbessern. Aber das Problem liegt tiefer. Epilepsie ist leider immer noch eine stigmatisierte Erkrankung. Eine junge Frau wie Sarah Brandt, die Karriere machen möchte, sollte trotzdem möglichst offen darüber reden. In der Praxis ist das nicht so leicht, weil die Vorurteile groß sind und man seine berufliche Zukunft nicht aufs Spiel setzen möchte. Aber man kann es einer Person erzählen, der man vertraut. Wenn man bei der Polizei ist und einen Partner hat, sollte der es schon wissen.

Dieser Schritt ist – wenn auch unfreiwillig – vollzogen. Borowski weiß Bescheid und er drängt Sarah Brandt dazu, es ihren Vorgesetzten zu erzählen. Wie sollten sich Partner und Vorgesetzte nun verhalten?

Borowski hat sowohl gegenüber Sarah Brandt, als auch den anderen Mitarbeitern und Bürgern gegenüber eine Verantwortung. Sarah Brandt hatte schon häufiger Anfälle und es gibt in ihrem Zusammenhang zwei Gefahrenbereiche: Auto fahren und der Umgang mit der Waffe. Borowskis Risiko ist also nicht nur, dass Sarah Brandt ihn nicht mehr sichern kann, weil sie bewusstlos wird oder umfällt; es kann auch passieren, dass sie mit der Waffe herumnestelt und schießt oder beim Autofahren statt stehen zu bleiben aufs Gas tritt. Wenn ein Vorgesetzter oder eine Dienststelle von Epilepsie Kenntnis erhält, darf der betroffenen Person erst einmal nicht mehr erlaubt werden, ein Fahrzeug zu führen und Dienst mit der Waffe machen.

Was darf sich ein Epilepsie-Patient zutrauen?

Als behandelnde Ärzte versuchen wir Epilepsie-Patienten in die Lage zu versetzen zu tun, was sie beruflich und privat tun möchten, was aber nicht immer zu 100 Prozent gelingt. Das hängt von der Art und Häufigkeit der Anfälle ab. Und davon hängt wiederum ab, was man nicht tun kann oder sollte. Auto fahren ist ein gutes Beispiel, weil es hier auch um den Aspekt der Fremdgefährdung geht. Da ist die Straßenverkehrsordnung klar: wer unter wiederholten Bewusstseinsstörungen leidet, ist nicht fahrtauglich. Das ist nicht anders, als wenn man sich betrunken hinters Steuer setzt. Das mag sich der eine oder andere zutrauen, aber man darf es nicht. Bei der Epilepsie ist es so, dass es keine Pauschalregelung gibt, wann wieder gefahren werden darf. Das muss in jedem Einzelfall individuell geklärt werden.

Dr. Stefan R.G. Stodieck zum Thema Epilepsie (allgemein):

"Epilepsie ist mit knapp 1 Prozent Betroffenen in der Bevölkerung eine der häufigsten neurologischen Erkrankungen. Es besteht eine manchmal lebenslange dauerhafte Neigung zu epileptischen Anfällen. Der Beginn einer Epilepsie ist in jedem Lebensalter und auch bei sonst völlig gesunden Menschen möglich.

Die Art der Anfälle ist extrem unterschiedlich, vom großen Epileptischen Anfall mit Sturz und Zuckungen (Grand mal) bis zu wenige Sekunden anhaltenden Bewusstseinsstörungen. Häufig beginnt der Anfall mit einer "Aura", bei der z. B. bestimmte Erinnerungen sehr lebhaft vor dem "inneren Auge" erscheinen können. Der Anfall kann dann übergehen in andere Anfallsformen, z. B. mit Verlust der Reaktionsfähigkeit, automatischen Handlungen oder auch Verkrampfungen. Auch wenn Anfälle nur wenige Male im Jahr auftreten, kann eine Epilepsie einen erheblichen Einfluss auf die soziale und berufliche Situation der Betroffenen haben. Umso wichtiger ist die frühzeitige korrekte Diagnosestellung und optimale Behandlung einer Epilepsie, in der Regel durch dauerhaft einzunehmende Medikamente.

Leider werden mehr als 30 Prozent der Betroffenen durch Medikamente nicht langfristig anfallsfrei. Spätestens nach zwei erfolglosen Medikamenten oder zwei Jahren erfolgloser Behandlung sollte die Vorstellung in einem spezialisierten Epilepsiezentrum erfolgen. Hier wird die Art der Anfälle genauer differenziert und nach der Ursache der Epilepsie gefahndet. Durch optimierte Medikation oder manchmal auch durch eine epilepsiechirurgische Hirnoperation kann oft doch noch Anfallsfreiheit erreicht und den Betroffenen die gewünschte berufliche Karriere ermöglicht werden.

Epilepsie ist leider immer noch eine stigmatisierende Erkrankung, den Betroffenen wird oft mit Vorurteilen begegnet. Dies liegt u. a. am für Laien erschreckenden Anblick eines aus heiterem Himmel auftretenden Anfalls. Es erscheint unverständlich und unheimlich, dass ein eben noch vollkommen gesunder Mensch plötzlich areagibel ist, seltsame Dinge macht, stürzt oder krampft, um 20 Minuten später wieder völlig "gesund" zu scheinen. Manchen Erkrankten fällt aber auch selbst der Umgang mit ihrer Epilepsie schwer, sie wird häufig verschwiegen.

Die WHO hat deshalb eine weltweite Kampagne gestartet, die Epilepsie aus ihrem Schattendasein führen soll ("WHO Global Campaign against Epilepsy: Out of the Shadows"). Die meisten Epilepsiekranken sind geistig und körperlich voll leistungsfähig und nur für die Minuten des Anfalls beeinträchtigt. Da dies erhebliche (z. B. berufliche) Konsequenzen haben kann, ist eine frühzeitig optimierte Behandlung unerlässlich."

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