Tatort FanpageInfos zu den Folgen, Ermittlern & Schauspielern uvm. der beliebtesten Kriminalreihe im TV

© ORF/ARD/Daniel Winkler
Interview mit Schauspieler Lars Eidinger
zur Tatort-Folge "Borowski und der stille Gast" "Es ist nicht Kais Plan, Frauen umzubringen, sondern Bindungen zu schaffen"
Was hat Sie an der Rolle des Kai Korthals fasziniert?
Den Mörder, den Bösewicht zu spielen, fand ich schon immer reizvoll. Es ist mein Traum, auch mal den Bösewicht in einem James-Bond-Film zu spielen. Die Bösen sind im Grunde immer die interessanteren Figuren. Das Tolle an diesem "Tatort" ist ja auch, dass er kein klassischer "Whodunit" ist und die Figur des Kai dadurch sehr viel Raum hat. Das erlaubt es, tiefer zu gehen und sich nicht nur in Oberflächlichkeiten und Stereotypen aufzuhalten. So erfährt der Zuschauer einiges über ihn und seine Motive. Schon beim Casting haben wir erarbeitet, dass er im direkten Kontakt mit Menschen befangen ist, sie nicht direkt ansieht und ins Stottern kommt, aber dann, wenn er unbeobachtet ist, wird er zum genauen Gegenteil: zu jemandem, der selbstsicher ist. Das Schizophrene, das diese Figur hat, fand ich ebenfalls sehr reizvoll.
Der Täter ist von vornherein klar. Heißt dies, dass er ein vollwertigerer Charakter ist, den man gestalten kann, und nicht nur ein Täter, dem man lediglich ein Gesicht gibt?
Ja, und der wahre Reiz besteht tatsächlich darin, dass dies mir als Schauspieler enorm viele Möglichkeiten eröffnet. Die Kunst, solche Figuren darzustellen, besteht darin, den Zuschauer dazu zu verführen, ein Stück weit mit ihr mitzugehen, ihr Handeln verstehen zu wollen. Bei Kai resultieren die Morde ja nicht aus Boshaftigkeit. Die Borowski-"Tatorte" bieten den Platz, um die Täter reicher zu erzählen, als es die normale Erzählstruktur eines Krimis erlaubt, bei denen die Ermittler die Handlung vorantreiben und die Psychologie des Mörders erklären müssen.
Was fehlt Korthals? Was bringt ihn dazu zu tun, was er tut?
Sein Ausgangspunkt ist eine tiefe Sehnsucht. Er hat extreme Schwierigkeiten, auf Menschen zuzugehen und in Kontakt mit ihnen zu treten. Dieser Mangel führt zu einer Sehnsucht nach Bindung und Geborgenheit, die er sich dadurch besorgt, dass er den Prozess des Kennenlernens überspringt und gleich bei den Frauen einzieht. Aber wenn er merkt, dass die Frau nicht mitmachen will, schlägt die Situation um und er schlägt zu. Es ist nicht sein Plan, Frauen umzubringen, sondern, Bindungen zu schaffen und ein Gefühl von Geborgenheit zu erzeugen, was er in den fremden Wohnungen auch findet. Diese Übergriffigkeit bringt natürlich extremes Konfliktpotential mit sich.
Was reizt Sie an Figuren, die emotionale Probleme haben?
Im Grunde sind emotionale Probleme doch normal. Wer von uns hat denn keine? Die Harmonie, die uns im Fernsehen zu oft vorgelebt wird, ist eher anormal. Meiner Erfahrung nach nimmt sie nur einen kleinen Teil des Lebens ein. Natürlich haben wir alle Probleme, auch psychische, die zu Konflikten in Beziehungen führen. Mittlerweile empfinde ich es aber als Privileg, sich diesen Problemen stellen zu können, weil ich merke, dass man sie zwar mit sich herum trägt, man sich ihnen aber nicht stellt. Ich glaube, wir laufen mit ganz schön viel Ballast herum, der dann an ganz anderen Stellen aufbrechen kann als an denen, wo der Konflikt herkommt. Es ist ja schon auffällig, dass sich Liebeslieder und Dramen so stark mit dem Nicht-Funktionieren beschäftigen, anstatt endlos darüber zu jubilieren, wie schön es ist, wenn es funktioniert. Das Verrückte ist ja, dass ich mich in den Wochen der Drehzeit mit solchen Problematiken intensivst auseinander gesetzt habe. Manchmal wünsche ich mir tatsächlich, dass ich mich mit derselben Intensität auch mit den eigenen Problemen auseinandersetzen würde. Das würde mir bestimmt helfen. So aber weiß man über den Konflikt eines Kai Korthals letztendlich mehr als über den eigenen.
Sie wurden für die Rolle gecastet. Was bedeutet das in diesem Fall?
Das Casting – für diesen Tatort hat es Suse Marquardt gemacht – ist für mich sehr wichtig geworden, weil es den Stellenwert einer ersten Probe hat. Als wir uns getroffen haben, hatten wir für jeden Schauspieler eineinhalb Stunden Zeit. Die Atmosphäre, die dabei entsteht, ist sehr angenehm. Das ist eine Arbeitsprobe, die dann als Casting gilt. Oft genug wird ja nach Typ oder vom Band gecastet. Dass man Konstellationen ausprobiert und schaut, wie die Chemie ist, ist mittlerweile eher ungewöhnlich.
Wie war denn die Zusammenarbeit mit Christian Alvart?
Christian habe ich beim Casting kennengelernt. Er weiß genau, was er will, hat ein genaues Bild im Kopf, geht aber trotzdem sehr auf den Schauspieler ein und lässt ihm den Platz, den er braucht. Wir haben Stellproben gedreht und ich konnte frei agieren. Der Kameramann The Chau Ngo war sehr flexibel und ist mir mit der Kamera immer gefolgt. Beide haben mich auch immer wieder animiert, sie zu überraschen. Als ich in der Küche von Roswitha die Tür des Küchenschranks zuknalle, fällt der Schrank runter. Das war nicht beabsichtigt, aber jeder hat weiter gemacht, und so haben wir diesen Moment für den Film retten können. Und wenn das nicht zufällig passiert, dann versuche ich, das zu provozieren. Ich möchte mich und den Partner "in Gefahr" bringen, uns aus der Sicherheit der Verabredung herausholen, denn wenn der Zuschauer das Gefühl bekommt, es ist alles verabredet, verliert es für mich den Reiz. Und ich möchte mich selber auch immer wieder herausfordern, um zu sehen, wie man mit einer Situation umgeht, die man nicht kennt.
Was lernt man vom Theater für den Film – oder umgekehrt?
Film setzt natürlich viel mehr auf die Illusion, da wird sehr viel getrickst. Beim Theater geht es um das Erleben des Schauspielers. Bei Film und Fernsehen geht es um das, was der Zuschauer erlebt. Als Schauspieler finde ich das oft unbefriedigend. Aber durch das Theater bin ich nicht gewohnt, in kleinen Abschnitten zu denken. Ein zweiminütiger Dialog macht mir mehr Spaß, als dass er mich stresst.
(Text: NDR Presse und Information)