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Tatort - Geburtstagskind - Delia Mayer (Liz Ritschard), Stefan Gubser (Reto Flücker) / © ORF/ARD/Daniel Winkler

Interview mit Regisseur Stephan Wagner
zur Tatort-Folge "Borowski und die Frau am Fenster"
"Tod muss weh tun"

Was hat Sie am "Tatort: Borowski und die Frau am Fenster" fasziniert?

Der irrwitzigen Logik, die hinter der Psychologie der Mörderin steckt, nachzuspüren, war mir eine extrem große Freude, weil die Paralleluniversen, in denen Charlotte Delius existiert, so nah aneinander liegen. Einen "Tatort" zu erzählen, bei dem ich dem Mörder von Anfang an in den Abgrund schauen konnte.
Der Zuschauer weiß, wer Charlotte Delius ist, was die Sache umso spannender macht, da er dadurch Teil dieses Schachspiels des Erzählens wird.

Wie gelingt es, die Spannung im Erzählen zu halten, obwohl der Zuschauer doch den Mörder kennt?

Sascha Arango hat hierzu ein hervorragendes Buch geliefert, das es ermöglicht, die Figur der Mörderin emphatisch zu zeigen. Man kann das Handeln von Charlotte Delius also immer nachvollziehen. Dadurch besteht ein Bezug, der es dem Zuschauer ermöglicht, die ein oder andere Parallele zu sich zu erkennen – oder doch zumindest, wie bestimmte Mechanismen im zwischenmenschlichen Umgang mit Problemen funktionieren. Das ist jedoch nur Theorie, solange man nicht mit entsprechenden Schauspielern arbeitet,
die diese Empathie herüber bringen können, wie in diesem Fall Sibylle Canonica und Dirk Borchardt.

Wie verliefen die Diskussionen über die Psychogramme der Figuren? Denn auch Dirk Borchardts Rolle hat offenbar ein tief sitzendes Problem.

Die sind alle nicht so perfekt, die Figuren – und genau dies macht sie so spannend und so menschlich. Und mit der richtigen Besetzung ermöglicht dies sehr intensive und einfühlsame schauspielerische Leistungen.

Der Film hat einige sehr hart erscheinende Szenen. Der Mord, das verendete Pferd, die Zecke in der Mikrowelle. Wie sind Sie an diese Szenen herangegangen, um nicht zu verschrecken?

Ich sträube mich gegen Tendenzen der Verniedlichungen im Kriminalfilm, um ihn familienfreundlicher zu machen. Das verabscheue ich zutiefst. Wenn wir eine Geschichte erzählen, deren Ausgangspunkt der Tod eines Menschen ist, dann kann man den Tod nicht in der Beiläufigkeit erzählen, als ob man gerade nebenbei einen Cheeseburger isst. Tod muss weh tun. Nur aus diesem Schmerz heraus ist es begreifbar, dass Menschen sich dagegen wehren. Gleichzeitig gilt es mit heiteren Momenten gegen diese Härte eine Balance herzustellen, um eine Entlastung beim Zuschauer zu schaffen. Wenn es gelingt, diese Balance herzustellen, wird klar, dass Gewalt ein Abbild von Leben ist, wodurch sie in der Wahrnehmung des Zuschauers anders eingeordnet wird.

Dennoch basiert auch das Leichte in diesem Film auf tiefer Tragik?

Es ist ja nichts Neues, dass Komödie bloß eine andere Form ist, eine Tragödie zu erzählen. Meine Kollegin Hermine Huntgeburth nannte dies einmal die "Sophisticated Komödie". Eigentlich ein Unwort, aber ich mag diesen englisch-deutschen Begriff, weil er auf einen Trend hinweist. Auch wir versuchen, aus der Härte des Sozialdramas herauszufinden und harte Geschichten so zu erzählen, dass der Zuschauer nicht abgeschreckt wird. "Sophisticated Komödien" interessieren mich sehr, weil man mit ihr den Zuschauer auf einer sinnlich-visuellen Ebene auch mit harten Themen erreichen kann.

Wie war die Zusammenarbeit mit Sibel Kekilli und Axel Milberg?

Es war eine große Freude, mit Axel Milberg und Sibel Kekilli zu arbeiten und zuzusehen, wie die beiden aus Figuren, die wenig gemeinsame Schnittmenge haben, ein Ermittler-Team bilden, bei dem Weltbilder sowie
"Old School" und "New School" zusammenwachsen. Da ist so viel an Generationsunterschied, aber auch an Sehnsucht zur Gemeinsamkeit drin. Es wird noch viel Spaß machen, diesen beiden Ermittlern als Zuschauer durch ihre Geschichten zu folgen.

Die Redakteurin der Kieler Tatorte, Jeanette Würl, verstarb im Juni dieses Jahres. Wie erinnern Sie sich an die Zusammenarbeit mit ihr?

Wir haben bestimmt zehn Jahre gebraucht, um das richtige Projekt für uns zu finden, und waren überzeugt, dass "Borowski und die Frau am Fenster" der richtige Anfang unserer Zusammenarbeit sein würde. Jeanette war ein Partner im Ringen um den bestmöglichen Film. Ihr herzerfrischendes Lachen bei der Abnahme wird mich weiter begleiten.

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