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Tatort - Geburtstagskind - Delia Mayer (Liz Ritschard), Stefan Gubser (Reto Flücker) / © ORF/ARD/Daniel Winkler

Interview mit Eoin Moore
zur Tatort-Folge "Borowski und der freie Fall"
"Eine Prise Realität sorgt für zusätzlichen Nervenkitzel"

Es gehört schon Mut dazu einen tatsächlichen Kriminalfall als Hintergrund für einen "Tatort" zu nehmen. Zumal dieser Fall, der nicht abschließend geklärt ist. Wie sind Sie den Stoff angegangen?

Ich finde es zunächst einmal großartig, dass die Redaktion es gewagt hat, überhaupt einen echten Fall zu thematisieren. Ich wollte an einem Drehbuch für einen Kinofilm arbeiten, als man mir das Angebot machte, und ich habe mir gedacht: Wenn die das wagen, kann ich es nicht ablehnen, das ist eine einmalige Chance. Auch für den Zuschauer, der es bestimmt spannend findet, einen tatsächlichen Fall integriert zu finden. Wenn das gut ankommt, wird das hoffentlich öfter gewagt. Schön wäre es! Die Prise Realität sollte doch für einen kleinen Kitzel beim Zuschauer sorgen.

Woher kam die Idee für die Geschichte?

Die Grundidee für die Geschichte stammt von Fred Breinersdorfer. Ich habe darauf aufbauend das Drehbuch geschrieben. Neu hinzu kamen zum Beispiel die Figuren des Politikers von Treunau und der Talkshow- Moderatorin Ulla Jahn ebenso das Subthema "Leben in der Öffentlichkeit". Ich wollte zeigen, wie schwierig es ist, in der Öffentlichkeit zu leben, wenn man im Privaten Geheimnisse hat. Und ich wollte zeigen, wie die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit, die einen als Berühmtheit begleitet, zur Last wird, wenn man in einen freien Fall gerät, also in Not kommt. Als Vorbereitung habe ich alles gelesen, was es zum Fall Barschel gibt und die Dokumentationen angesehen.

Die Figur des Politikers von Treunau erscheint zuerst als der unsympathische, prototypische Politiker, der alle Vorurteile über diesen Berufszweig erfüllt. Erst später wird er eine Figur mit der man mitfühlen kann.

Unsere Aufgabe war es den Fall Barschel nicht nur in Dokumentaraufnahmen und Erklärdialogen zu erzählen, sondern auch im Hier und Jetzt empfindbar zu machen. Das wollten wir mit einer Figur erzählen, mit der wir unbewusst auch etwas über Uwe Barschel erfahren. Von Treunau ist sympathisch aber auch zwielichtig, komplex. Es gibt Vermutungen und Verdachtsmomente, aber keine Verurteilung. Je mehr ich bei der Recherche über Uwe Barschel erfahren habe, desto stärker schwankte ich zwischen Verachtung, Respekt und auch Mitleid. Die Frage, ob er ermordet wurde oder Selbstmord begangen hat, löst natürlich unterschiedliche Gefühle aus. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass Barschel Selbstmord begangen hat. Er ist nicht nur politisch abgestürzt, sondern auch wirtschaftlich. Er stand vermutlich vor dem Ruin. Ich kann mir vorstellen, dass einer in einer solchen Situation die Reißleine zieht. Das löst Mitgefühl aus. Ich wollte, dass von Treunau auch
so unterschiedliche Gefühle auslöst.

"Borowski und der freie Fall" lebt von den Verschwörungstheorien, die sich um den Fall Barschel gerankt haben. Anfang der 70er-Jahre gab es in den USA ein eigenes Filmgenre, das davon gelebt hat und Tom Tykwer hat es in "The International" ebenfalls aufgenommen. Wie reizvoll sind Verschwörungstheorien für Sie als Filmemacher?

Mit der Verschwörungstheorie ist das wie mit dem Monster unterm Bett: Es ist das Unbekannte, das Spekulative, das die Angst erzeugt – gerade beim Film! Je weniger Informationen, je spekulativer die Erzählung, desto spannender. Und Verschwörungsfilme enden ja immer gleich: Ein Teil des Puzzles ist augenscheinlich gelöst, aber gleichzeitig hat man entdeckt, dass es viel schlimmer ist, als erwartet und dass man das Problem in Wirklichkeit nicht lösen kann. Im Grunde fühlt man sich am Schluss schlechter, ohnmächtiger als vorher. Für Ermittler heißt dies, dass sie sich irgendwann geschlagen geben müssen. Das sieht man etwa daran, dass Ende Juli neue DNA-Spuren im Fall Barschel aufgetaucht sind, die man vor 25 Jahren einfach nicht sichtbar machen konnte. Aber diese DNA mit allen Polizisten, Spurensicherern, Bestattern und Hotelangestellten 25 Jahre nach der Tat zu vergleichen ist ein Ding der Unmöglichkeit. Der Barschel-Fall war dadurch geprägt, dass zwar gewisse Ressourcen zur Verfügung standen, aber dass jede neue Spur weitere Fragen aufgeworfen hat, die die Klärung des Falles nur noch unwahrscheinlicher gemacht haben – und so ist es ja auch gekommen.

Sollte man öfter reale Fälle in fiktionale Krimis einarbeiten?

Ich finde es sehr attraktiv die Realität mit einzubeziehen, aber es gibt da auch große Hemmungen. Das stärkste Argument dagegen ist natürlich, dass man einen fiktionalen Krimi nicht als Ausrede benutzen darf, um Behauptungen über reale Dinge oder Personen aufzustellen, die nicht erwiesen sind. Wo behauptet man einen Fakt, wo beginnt die Fiktion? Das ist ein rechtlich schwieriges Terrain. Zudem hat der Missbrauch von Product Placement in der Vergangenheit leider zu einem extrem restriktiven Umgang mit alltäglichen Dingen und sogar mit Ausdrücken geführt. In einem Film schrieb ich den Satz für einen Drogendealer über den Preisverfall bei Drogen: "Die Preise sind voll Aldi." Es hat mich gefreut, dass dies drin bleiben konnte, weil dies ein schöner, authentischer Satz ist, bei dem der Zuschauer sofort weiß, was gemeint ist. In Großbritannien gibt es kein Problem damit. In einem britischen Krimi hieß es einmal: "Der Kerl hatte mehr Drogen in sich als Boots." Boots ist eine Drogeriekette, in der man auch verschreibungspflichtige Medikamente bekommt. Das ist ein großer Lacher gewesen. Wenn wir privat so reden, assoziieren wir Dinge, ohne dass es Schleichwerbung oder Denunziation ist. Und was ist bei Begriffen der Alltagssprache, die sogar schon ihren Einzug in den Duden gehalten haben, wie "googeln"? In der Fernseh-Welt muss ich "im Internet suchen" sagen. Ich wünsche mir da mehr Freiheiten, die der Realität entsprechen. Aber natürlich gibt es immer Gebiete, wo man aufpassen muss. Die Entstehung dieses "Tatort" wurde übrigens von Juristen begleitet. Bei der Abnahme saß ein NDR-Justitiar dabei.

Wie war die Zusammenarbeit mit Kriminaldirektor Winfred Tabarelli als Fachberater?

Winfred Tabarelli hat viele Anmerkungen gemacht, die wir auch beherzigt haben. Es ist schon prima einen Fachberater an der Seite zu haben, das gibt einem ein sicheres Gefühl. Und in diesem Fall ist er ja nicht nur ein Experte für Polizeiarbeit, sondern auch noch Experte für den Fall Barschel – das war ein Geschenk! Er hat uns Details erzählt, die wir sonst nicht erfahren hätten. Und es war mir wichtig, seine Haltung zum Fall zu hören, die ich teile: Es gibt sowohl für die Mord- als auch für die Selbstmordtheorie schlüssige Hinweise, aber es ist Nichts bewiesen und daher ist der ganze Rest Spekulation. Man darf nicht vergessen, dass die menschliche Natur eher dazu neigt, Verschwörungstheorien zu befürworten.

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