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Tatort - Geburtstagskind - Delia Mayer (Liz Ritschard), Stefan Gubser (Reto Flücker) / © ORF/ARD/Daniel Winkler

Interview mit Sascha Arango (Drehbuchautor)
zur Tatort-Folge "Borowski und der stille Gast"
"Mich interessiert, wer der Täter als Charakter ist"

Schon bei "Borowski und die Frau am Fenster", den Sie ebenfalls geschrieben haben, weiß man sehr rasch, wer der Täter ist. Was ist das reizvolle an dieser Erzählweise?

Das Gegenstück, der "Whodunit", ist reine Rumrätselei, wer der Täter ist, und das interessiert mich persönlich weniger. Mich interessiert, wer der Täter als Charakter ist. Ich möchte erleben, wie seine Konflikte aussehen, seine Ängste. Wie kommt seine Schuld zustande? Und um das zu erfahren, ist es immer am besten, direkt beim Täter zu sein und es nicht indirekt über die Ermittler zu erfahren. Ich habe noch nie einen anderen Krimi geschrieben. Sie sind alle so.

Beim "Whodunit" sorgt das Rätselraten nach dem Täter für die Spannung. Was aber hält beim Thriller
die Spannung?

Jede dramaturgische Entscheidung hat ihren Preis. Der "Whodunit" hat den Preis, dass die Figur des Täters und seine Motive nicht im Zentrum stehen, sondern die Arbeit des Kommissars. Die Frage, wie man Spannung erzeugt und hält, obwohl man den Täter kennt, ist mir schon oft gestellt worden. Dabei funktioniert das Prinzip sehr gut. So wie ich sind die meisten Zuschauer sofort dabei. Die Antwort lautet wohl, dass man wissen mööchte, was der Täter wohl macht, wenn er Zuhause mit seiner Frau und den Kindern kocht und die Polizei bei ihm an der Tür klingelt. Ich glaube, das ist die Quelle der Spannung: Was tut er, um seiner Entdeckung zu entgehen, und was die Polizei, um ihn zu fassen? Und im "Stillen Gast" kommt ja noch das Kind hinzu. Der Zuschauer weiß nie, was "der stille Gast" Korthals mit dem Kind macht.

Offenbar gibt es beim deutschen Fernsehzuschauer eine große Faszination an Tätern, denn sonst wäre das Krimi-Genre hierzulande nicht so extrem erfolgreich?

Jeder Zuschauer hat in abgeschwächter Form das durchlebt, was der Täter erlebt hat. Er hat einen Fehler begangen, er hat ein Geheimnis und er fürchtet um sein Geheimnis. Das Kostbare daran ist doch, dass wir dem Täter dabei zusehen, wie er versucht, sein Geheimnis zu bewahren. Und jeder von uns hat ein, zwei kleine Geheimnisse.

Inwieweit haben Sie die Möglichkeit, den Kieler "Tatort" mit Ihren Geschichten und Ideen mitzugestalten?

Es gibt das Bemühen, an dem ich etwa durch die Definition der Figur Sarah Brandt auch beteiligt bin, ein größeres Maß an persönlichen Vorgängen, an Intersubjektivität in den Geschichten herzustellen. Ansonsten ist es jedem Autor überlassen, wie er die Figur führt und wie er die einzelnen Fälle gestaltet. Daher wird der Kieler "Tatort" auch in Zukunft eine große Bandbreite an Geschichten haben. Aber der NDR möchte mehr Geschichten von mir, wobei ich sparsam sein muss, denn es gibt gar nicht so viele Stoffe.

Die Figur der Sarah Brandt spricht ein computeraffines Publikum an. Ist sie Bestandteil, den "Tatort" für
ein jüngeres Publikum noch attraktiver zu machen?

Sarah Brandt steht nicht für eine Neuausrichtung, aber diese Figur funktioniert sehr gut durch ihre völlige Andersartigkeit, durch ihre Aggressivität und auch ihre Neigung, sich über das Gesetz zu stellen. Das habe ich ihr mitgegeben, wobei ich auch darauf geachtet habe, dass der Charakter zu Sibel Kekillis Erscheinung passt. Ich habe mir die Schauspielerin angeschaut und überlegt, was für sie interessant wäre, und habe versucht etwas zu finden, das für den Mensch Sibel Kekilli passt, für ihren Typus.

Inwieweit muss man sich beim Schreiben nach den Schauspielern richten und inwieweit kann man in den Episodenrollen Charaktere frei erfinden?

Nun ja, für einige Züge von Kai Korthals habe ich mich beim Maurer in dem Dorf, in dem ich lebe, bedient, und er erzählt auch schon herum, dass er der Mörder im nächsten Borowski-"Tatort" ist. Beim festen Personal einer Reihe schaue ich mir die Arbeit der Schauspieler an, um deren Potentiale zu nutzen. Bei Axel Milberg habe ich festgestellt, dass seine reduzierte Art für Borowski am besten funktioniert. In der Tat versuche ich immer etwas zu finden, was dem Schauspieler liegt, was zu ihm passt. Das habe ich auch für Thomas Kügel gemacht, der Roland Schladitz spielt, den ich sehr mag, wie man sehen kann. Bei allen anderen Figuren kann ich meiner Fantasie natürlich freien Lauf lassen und bin dann umgekehrt sehr froh, wenn man den richtigen Schauspieler findet wie Lars Eidinger für Kai Korthals, der die Rolle ja irrsinnig gut spielt. Er bringt übrigens noch eine Note in die Rolle, die ich als Autor gar nicht gesehen habe, etwa wenn er Tränen in die Augen bekommt und sagt: "Ich wollte nicht, dass das jetzt passiert".

Es gibt sehr viele Details in diesem "Tatort". Es wird viel auserzählt oder erklärt, wie die Eingangsszene oder wie Epilepsie funktioniert.

Das ist auch ein Verdienst von Regisseur Christian Alvart, der sehr genau liest und immer wieder Vorschläge macht, um eine Sequenz reicher zu machen. Ihm geht es sehr stark darum, durch seine Inszenierung Rhythmus und Spannung zu erzeugen, wodurch übrigens auch die jüngere Erzählweise zustande kommt. Ich hatte vorgegeben, dass die Polizei an der Türe scheitert und durchs Fenster muss. Christian hat die Szene mit vielen Details auf die Spitze getrieben. Etwa dass die Wohnung nur über eine Leiter zu erreichen ist, die Säge für das Fenster und, und, und. Die Erklärszene über Epilepsie habe ich auf Bitte der Redaktion übernommen. Ich bin Epileptiker, und genauso wie im Film ist es mir mal bei einer Recherche zu einem "Tatort" anhand eines gerade entnommenen Gehirns in der Pathologie erklärt worden.

Was kann man als nächstes von Borowski erwarten?

Ein Thema, das mich seit langer Zeit bewegt, ist "Lüge". Also die Falschaussage, die einen anderen Menschen zugrunde richtet. Mich interessieren Menschen wie etwa der Elektriker, der seine Frau ermordet, im Garten vergräbt und dann eine Selbsthilfegruppe für verlassene Männer gründet. Oder diese über Facebook ausgelöste Hetzjagd auf den Parkhausmörder in Emden im Frühjahr. Da frage ich mich: Was geht in diesen Menschen vor? Und das will ich filmisch untersuchen.

Eine Frage zum Humor, die in Ihren Geschichten ja nie fehlt?

Humor ist wichtig! Als ich Jeanette Würl, der verstorbenen NDR-Redakteurin für den Kiel-Tatort, erzählte, wie ich mir das Ende von Borowskis Auto so vorstelle – dass er es wie ein verletztes Pferd erschießt – hat sie gebrüllt vor Lachen. Und das Auto war längst fällig, es hat genervt.

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